Das Kinder- und Jugenddorf in Delbrück ist eine ist eine katholische Einrichtung der Erziehungshilfe. Hier erhalten Kinder und Jugendliche schulische, berufliche und vor allem soziale Förderangebote. Die Bewohnerinnen und Bewohner im Alter zwischen 10 und 20 Jahren können in der Regel aufgrund ihrer persönlichen Situation nicht zurück zu ihren Familien.

Um eine Rückkehr zu ihren Eltern zu ermöglichen, kümmern sich die Betreuerinnen und Betreuer mit ihrer Arbeit jeden Tag um die Jugendlichen. ecoprotec steht schon seit Jahren mit der Einrichtung in Kontakt. Daher freuen wir uns sehr, dass wir mit Klaus Lahnwehr – Einrichtungsleiter in Delbrück – über die Zeit während der Corona-Pandemie, die gegenwärtige Situation im Kinder- und Jugenddorf und über eine kleine, musikalische Überraschung sprechen konnten.

Live-Musik im Kinder- und Jugenddorf

ecoprotec: Sehr geehrter Herr Lanwehr, vielen herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein kurzes Interview genommen haben. Zunächst vielleicht ein paar Sätze zu Ihnen und Ihrer Einrichtung. Was genau macht das Kinder- und Jugenddorf und wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen im Haus aus?

Klaus Lanwehr: Hallo Herr Dennemark. Vielen Dank für Ihre Einladung. Mein Name ist Klaus Lanwehr und ich bin seit dem 1. April 2020 Leiter des Kinder- und Jugenddorfes, das ganz zentral hier in unserem schönen Delbrück liegt. Wir sind eine katholische Einrichtung der Erziehungshilfe und bieten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in unterschiedlichen Wohngruppen zeitlich befristete oder auf Langzeitperspektive ausgerichtete Unterbringungsmöglichkeiten.

Den „typischen Arbeitstag“ gibt es in unserem Haus wahrscheinlich nicht, wobei wir sehr viel Wert auf geordnete Strukturen und einen geregelten Tagesablauf legen.

ecoprotec: Die vergangenen zwei Jahre sind mit Sicherheit auch in Ihrem Haus nicht spurlos an den Bewohnerinnen und Bewohnern vorbei gegangen. Können Sie beschreiben, wie die Jugendlichen mit der Pandemie umgegangen sind?

Lanwehr: Vorab möchte ich einmal erwähnen, dass es in unserem Haus viele verschiedene Charaktere gibt. Unsere Jugendlichen sind dabei zwischen 10 und 20 Jahre alt. Während die jüngeren noch zur Schule gehen, haben die älteren bereits eine Ausbildung begonnen. Die einen sind sehr extrovertiert, während andere eher ruhiger und in sich gekehrt sind.

Man muss verstehen, dass unsere Bewohnerinnen und Bewohner sehr unterschiedliche Vorgeschichten haben. Einige kommen aus Krisengebieten und mussten bereits in jungen Jahren psychische und physische Gewalt erleben, während andere zu Hause bei ihren Familien traumatische Ereignisse durchleben mussten. Aus diesem Grund verarbeitet jeder in unserem Haus die aktuelle Situation auch vollkommen individuell.

ecoprotec: Können Sie das für uns eventuell an einem Beispiel verdeutlichen?

Lanwehr: Um vielleicht einmal einen konkreten Fall zu nennen: Hier bei uns in Delbrück wohnt ein 15-jähriger junger Mann, der bereits seit fünf Jahren zu Gast in unserem Haus ist. Er geht in der 9. Klasse zur Schule, ist begeisterter Fußballer und freut sich immer sehr darauf, zweimal in der Woche zum Training gehen zu können. Während der Corona-Pandemie ist dieses Angebot nun zeitweise komplett weggebrochen. Das Training musste ausfallen, der Schulunterricht konnte teilweise nicht mehr in Präsenz stattfinden.

Nach einem positiven Testergebnis stellten wir nun fest, dass sich dieser junge Mann leider mit Sars-CoV-2 infiziert hatte. Zusätzlich zu den allgemeinen Einschränkungen mussten wir in seinem Fall nun auf eine Maskenpflicht in unserer Einrichtung bestehen und die Kontakte – so weit es ging – einschränken, um die Gesundheit der anderen Bewohnerinnen und Bewohner, sowie die unserer Betreuerinnen und Betreuer nicht zu gefährden. Das bedeutete dann leider auch, dass er sich mit den anderen Kinder und Jugendlichen nicht draußen im Garten oder auf dem Hof treffen konnte.

Dieser Junge strebt – wie alle anderen Kinder auch – nach Freiheit. Gerade auch mit einer schwierigen Vorgeschichte ist der Entzug von Freiheit etwas sehr Schlimmes für diesen jungen Mann. Natürlich war er mit dieser Situation nicht einverstanden. Dabei ist es dann besonders wichtig zu wissen, wie man pädagogisch damit umzugehen hat.

ecoprotec: Auch wenn man aktuell das Gefühl hat, dass sich die Lage etwas entspannt, ist es sicherlich noch zu früh, um Entwarnung zu geben. Wir hoffen wirklich sehr, dass sich die Situation in den nächsten Wochen und Monaten weiter entspannt, damit die Kinder immer mehr Freiheit zurückgewinnen können.

Lanwehr: Was wir auf jeden Fall jetzt schon sehen ist, dass diese Freiheit von der Jugend absolut ausgekostet werden wird. Allerdings wird das sicherlich nicht von heute auf morgen funktionieren. Genau wie wir uns zu Beginn der Pandemie an die neuen Maßnahmen gewöhnen mussten, so wird es für uns und unsere Gäste hier im Kinder- und Jugenddorf ein Prozess werden, die neu gewonnene Freiheit wieder zu erlenen.

Wie bereits erwähnt, haben wir in unserer Einrichtung sowohl extrovertierte als auch sehr introvertierte Kinder und Jugendliche. Daher wird es eine Gruppe geben, die ihre zurückgewonnene Freiheit voll und ganz zelebrieren wird. Dabei werden sie sicherlich auch das ein oder andere Mal über die Stränge schlagen, während die eher in sich gekehrten Kinder und Jugendlichen fast schon vorsichtig mit der neuen Situation umgehen werden.

Wir Erwachsenen haben uns dabei in der Regel eine gewisse Resilienz antrainiert. Wir haben Abwehrmechanismen gegen unsere Ängste, sind anpassungsfähig und wissen durch unsere Erfahrungen, besser damit umzugehen. Kinder haben diese Erfahrungen noch nicht machen können und reagieren ganz anders auf Veränderungen – vor allem dann, wenn sie noch ganz andere Dinge aus ihrer Vergangenheit verarbeiten müssen.

Dabei helfen die jüngsten Ereignisse in der Ukraine natürlich auch nicht. Die Kinder und Jugendlichen bekommen die Situation selbstverständlich auch jeden Tag mit und machen sich große Sorgen über die aktuelle Entwicklung der Lage.

ecoprotec: Das ist ebenso traurig wie verständlich. Auch wenn wir weiterhin vorsichtig sein sollten, scheint die eine Krise noch nicht überwunden zu sein und schon tut sich eine neue auf.

Im Kinder- und Jugenddorf kümmern sich insgesamt 45 pädagogische Fachkräfte und 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den verschiedensten stationären, teilstationären und ambulanten Bereichen um die Ihnen anvertrauten Kinder und Pflegefamilien. Wie haben Ihre Kolleginnen und Kollegen die vergangenen zwei Jahre erlebt?

Lanwehr: Das war wirklich keine leichte Zeit für uns alle. Vor allem in den vergangenen drei Monaten merkten auch wir, dass die Ausfallzeiten innerhalb der Belegschaft deutlich angestiegen sind. Die Fallzahlen stiegen und das Virus machte leider auch in unserer Einrichtung keine Ausnahme. Es war eine ziemliche Herausforderung für uns, alles in dieser Zeit richtig zu machen. Daher sind wir auch äußerst stolz auf uns, dass wir es erst einmal geschafft haben. Die Situation entspannt sich mittlerweile wieder mehr und mehr.

ecoprotec: Wir bei ecoprotec hatten uns in der Vorweihnachtszeit eine kleine Überraschung überlegt, mit der wir den Kindern, Betreuungspersonen und Ihnen in diesen schwierigen Zeiten eine kleine Freude bereiten wollten. Ist uns das gelungen?

Lanwehr: Das war wirklich eine ganz tolle Idee! Ein Live-Konzert auf unserem Gelände war für uns alle eine willkommene Abwechslung. Das war ein ganz besonderes Erlebnis!

ecoprotec: Haben Sie das kleine Event bei sich im Haus vorab angekündigt oder wollten Sie Ihre Bewohnerinnen und Bewohner ganz unvorbereitet damit überraschen?

Lahnwehr: Nein, nein! Wir haben das bei uns zwei Tage vorher angekündigt, dass hier etwas passieren wird. In sämtlichen Gruppen haben wir dann einen Aushang veröffentlicht, dass die GoodBeats zu uns nach Delbrück kommen werden, um für eine halbe Stunde ein Live-Konzert auf unserem Gelände zu spielen. Das war in Richtung musikalischer Bildung ein echtes Highlight für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer!

ecoprotec: Wir haben gehofft, dass die Idee gut ankommt. Aber wieso in Richtung musikalischer Bildung?

Lanwehr: Sie müssen verstehen, dass einige Kinder bei uns noch nie echte Live-Musik erfahren konnten. Viele von Ihnen konnten es kaum glauben: Hier kommen Leute mit einer Überraschung nur für uns? Dann kam das Konzerttaxi vorgefahren, die Tür öffnete sich und die Gruppe spielte tatsächlich ein Exklusiv-Konzert – nur für uns. Es war eine richtige Insel-Auszeit, ein ganz toller Abend für uns alle.

ecoprotec: Wir hoffen sehr, dass die GOODBEATS ihren Musikgeschmack getroffen haben.

Lanwehr: Auf jeden Fall! Es waren unter anderem Lieder von Ed Sheeran dabei. An diesem kalten Abend konnten wir uns alle beim Tanzen und Mitsingen aufwärmen. Einige Jugendliche haben in unserer Einrichtung die Möglichkeit, an den Wochenenden nach Hause zu ihren Eltern zu fahren. Doch an diesem Freitag sind alle hiergeblieben, um bloß nichts zu verpassen.

Es war für eine halbe Stunde eine großartige Auszeit vom Alltagsstress der vergangenen Monate. Das ganze Event konnte an der frischen Luft stattfinden, wir konnten Kontaktbeschränkungen einhalten und waren begeistert von der Kreativität der beiden Musiker!

ecoprotec: Herr Lanwehr, Sie sind ja nun seit April 2020 der Leiter des Kinder- und Jugenddorfes in Delbrück. Zum Abschluss noch eine Frage: Woher kennen Sie uns und die ecoprotec GmbH eigentlich?

Lanwehr: ecoprotec packt jedes Jahr zur Weihnachtszeit mit dem Wünschebaum Geschenke für alle Kinder unserer Einrichtung. Daher kennen wir Sie schon seit vielen Jahren. Seit dem 1. Januar 2022 sind Sie darüber hinaus auch ganz offiziell für die umfängliche Beratung hinsichtlich der Arbeitssicherheit im Kinder- und Jugenddorf tätig, worüber wir uns hier außerordentlich freuen!

ecoprotec: Herr Lanwehr, vielen herzlichen Dank, dass Sie sich heute die Zeit für dieses wirklich interessante und kurzweilige Interview genommen haben.

Lanwehr: Ich habe zu danken und sende viele Grüße aus Delbrück nach Paderborn.